Dieter Meister berichtet am 25. April 2024 im Berchtesgadener Anzeiger:

Gott reißt nie der Geduldsfaden

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm predigte am 21. April 2024 in der evangelischen Christuskirche

Berchtesgaden – Bei der Kundgebung zum »Tag der Toleranz« auf dem Weihnachtsschützenplatz war Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm der mit viel Beifall bedachte prominente Schlussredner. Der einstige Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und langjährige Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland stellte unter anderem »Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe« in den Mittelpunkt seiner bemerkenswerten Rede.

Bedford Strohm MeisterTags darauf hatte der Theologe einen weiteren »Auftritt« in Berchtesgaden. Am dritten Sonntag nach Ostern, der Jubilate genannt wird, hielt Prof. Bedford-Strohm die Predigt im überaus gut besuchten Gottesdienst in der Christuskirche und nahm sich anschließend die Zeit, um über sein neues Amt als Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen zu sprechen und Fragen der Gottesdienstbesucher zu beantworten.

Man merkte Pfarrer Josef Höglauer die Freude förmlich an, einen Gast wie Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm in »seiner« Kirche begrüßen zu dürfen und ihm die Kanzel zu überlassen. Die Schöpfungsgeschichte steht im Mittelpunkt des Sonntags Jubilate und Prof. Bedford-Strohms engagierte Predigt ließ bei dem Gottesdienstbesuchern wohl kaum Zweifel aufkommen, dass es »sein Thema« war. »Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.«

Es sei, so der Theologe, immer wieder von neuem faszinierend, diese berühmten Worte über die Erschaffung der Welt zu hören. Inhaltsschwere und poetische Worte, die den Atem Gottes überall spüren ließen und nun auch in dieser Kirche angekommen wären. »In dieser Schöpfungsgeschichte steckt unser Leben. In ihr steckt unser Sehnen. In ihr steckt unser Auftrag.« Über den Menschen werde gar Ungeheuerliches gesagt: Gott habe ihn nach seinem Bilde geschaffen. Etwas Größeres könne man über den Menschen gar nicht sagen. Gott mache den Raum frei für den Menschen, weil er in Beziehung sein wolle. Und heraus komme der Mensch, der in all seiner Fragwürdigkeit, in all seiner Unvollkommenheit, ja in all seiner Abgründigkeit zum Bild Gottes erklärt werde, zum Bild des Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat. Ungeheuerlich sei dies. Die Verfasser des Alten Testaments wussten schon damals sehr genau um die menschlichen Abgründe. Nicht zufällig folge in der Bibel nach der Schöpfungsgeschichte der eifersuchtsgetriebene Mord von Kain an seinem Bruder Abel.

Aber Gott traue dem Menschen dennoch immer wieder zu, das zu werden was er bereits ist; Das Bild Gottes. Trotz aller Widrigkeiten lasse die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung nie nach, reiße nie sein Geduldsfaden. Seine Liebe zu den Menschen wäre immer gegenwärtig, durch alle Abgründigkeiten hindurch. »Es ist, wie wenn er dein falsches Wort aus deinen Beziehungen herausholt und es in den göttlichen Kosmos hineinnimmt, in dem es in der Liebesglut verbrannt wird.«

Nicht der Mensch sei die Krone der Schöpfung, sondern der Sabbat. Denn Gott ruhte am siebten Tag. »Die ganze Aktivität der Welterschaffung und Weltgestaltung mündet in die Ruhe. Ja, die Ruhe ist in den Segen mit hineingenommen, den Gott am Ende spricht. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.« Wenn Gott ruhe dürfe auch der zum Bilde Gottes geschaffene Mensch ruhen, sagte Prof. Dr. Bedford-Strohm, und ermunterte die Gemeinde, mit dem herrlichen Gefühl nach Hause zu gehen, dass er zum Bilde Gottes geschaffen sei und sich dies nicht einmal verdienen müsse. »Ich darf einfach sein.«

Wer den Ort seines Aufenthaltes lobt und die Leute beglückwünscht, dass sie das, was der Besucher imposant findet, tagtäglich sehen und erleben dürfen, kann sich des spontanen Beifalls fast sicher sein. Und wenn er enthusiastisch das Gefühl beim ersten Morgenblick auf den neblig umflorten Watzmann beschreibt, scheinen tatsächlich alle möglichen Hürden endgültig hinweggeräumt. Der einstige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland ist sicher die bekannteste evangelische Persönlichkeit – neben Margot Käßmann vielleicht – mindestens in Bayern. Nach Ende seiner offiziellen Ämter hat er nun ein neues, ehrenamtliches, wie Heinrich Bedford-Strohm betont: Er ist Vorsitzender des Weltkirchenrates, wie er selbst verknappt. Darüber berichtete er zunächst nach Ende des Gottesdienstes im fesselnden Plauderton. Und darüber, wie schwierig es sei, die weltweit verschiedenen Strömungen in den evangelischen Kirchen, zu denen auch die orthodoxen gehören, zusammenzubringen. Evangelische Christen in Afrika, Südamerika und im weitgefächerten Europa hätten jeweils andere, oft aus kulturellen Besonderheiten beeinflussten Blicke auf die reale Welt, die schwerlich zur Einheit geformt werden könnten. Als Beispiel führte Bedford-Strohm den Begriff Homosexualität an, der zumindest im westlichen Europa längst zum Alltag gehöre, aber vielfach noch als Krankheit, Abnormität oder mindestens als schwere Sünde gesehen werde, die verachtet und im schlimmsten Fall getilgt gehört.

Ein anderes Beispiel, so der Theologe, wäre die Haltung der Russisch-Orthodoxen Kirche zum Krieg in der Ukraine. Dort werde gar vom »Heiligen Krieg« gesprochen, ungeachtet der Tatsachen. Für ihn und andere im Gremium sei das nicht hinnehmbar und er kündige viele klärende Gespräche an. Prof. Bedford-Strohm erwähnte jedoch auch die Hoffnung, die man schöpfen könne, wenn beispielsweise Vertreter aus sich bekriegenden Staaten gemeinsam am Tisch säßen und am Ende dennoch eine Entscheidung zu Papier gebracht werden kann, die alle zufrieden stellt. Dies bezeichne er gelegentlich als ein Wunder, das aber immer möglich ist. Beziehungen sollte man, so sein Rat, nie zu früh abbrechen und auch mit dem Andersdenkenden weiter im Gespräch bleiben.

»Wir müssen zusammenhalten«, ermunterte der ehemalige Bayerische Landesbischof im Gespräch mit den Gottesdienstbesuchern. Die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche bedeute nicht automatisch den gleichen Blick auf Dinge und Sachverhalte. Was auch bedeute, dass die Kirche in heutiger Zeit durchaus auch nach neuen Wegen suchen müsse. Die Kirchen werden wohl in Zukunft weitere Mitglieder verlieren, auch die evangelische. Dann müsse man mehr zusammenrücken und den Blick auf die genauen Zahlen überwinden, denn auch dann gäbe es keinen Grund zu verzagen, denn »die Kraft unserer Botschaft ist unschlagbar«.

Ein Zuhörer vermisste die direkte Stellungnahme seiner Kirche zur »Weltlage«. Prof. Dr. Bedford-Strohm sagte dazu, dass es diese durchaus gebe, vielleicht aber gerade nicht in der Zeitung, die er lese. Er als Christ, dem die Nächstenliebe ein fundamentales Anliegen sei, habe große Schwierigkeiten, sich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine auszusprechen. Täglich sterben etwa 20 000 Menschen, weil sie nicht genug Essen haben. Man müsse alle Aspekte ins richtige Verhältnis setzen. Wenn keine Waffen geliefert würden, seien die Menschen in der Ukraine am Ende.

Bericht: Dieter Meister; Bilder der Fotogalerie: Wolfgang Sauer

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